Bruchsaler Rettungskräfte berichten vom Alltag mit völlig distanzlosen Gaffern.
Wer Unfalltote filmt oder fotografiert, muss künftig mit harten Strafen rechnen. Drei Rettungskräfte berichteten aus ihrem Alltag: Und dort treffen sie beinahe täglich auf Schaulustige und Gaffer, auf „Bordsteinkommmandanten” und rabiate Neugierige.
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Marina Bosch, Tim Synovzik und Andreas Kroll werden bei ihrer Arbeit regelmäßig gefilmt und fotografiert. Es existieren Dutzende Filmchen im Netz mit ihnen – in Haupt- und Nebenrollen. Marina Bosch, Tim Synovzik und Andreas Kroll sind aber keine Schauspieler. Sie sind Rettungsassistentin, Notfallsanitäter und Feuerwehrmann.
Die Menschen hinter der Kamera sind auf spektakuläre Unfallbilder aus. Sie wollen Opfer abbilden, wollen im Netz damit angeben, teilen die Videos und Fotos mit ihren Freunden. „Ich kann’s nicht nachvollziehen”, sagt DRK-Notfallsanitäter Tim Synovzik, „wie man es menschlich verantworten kann, Opfer in einer hilflosen Lage abzubilden.”
Man hört ihm durchs Telefon an, dass er ratlos ist. „Ist das asozial? Ich weiß es nicht.” Was er, Bosch und Kroll aber wissen: Das Handyfilmen an Unfallorten nimmt stetig zu. Daher hat der Bundestag ein Gesetz verschärft, wonach nicht nur die Behinderung von Einsatzkräften, sondern auch das Filmen von Unfalltoten bestraft wird. „Vielleicht schreckt das manchen ab”, so die schwache Hoffnung Synovziks.
Es war im Mai, als es in der Durlacher Straße in Bruchsal in einem Wohnhaus brannte. Küchenbrand. Andreas Kroll von der Bruchsaler Feuerwehr war als einer der ersten da. Ein Familienvater hatte Rauchgase inhaliert. Hätten Kroll und seine Kollegen ihn nicht aus dem verrauchten Haus getragen, wäre er wohl gestorben.
Die Feuerwehrleute legten den Mann kurzerhand vor dem Haus auf dem Boden ab. Alles musste ganz schnell gehen. Es waren weitere Familienmitglieder in Gefahr.
„Da kommt doch ein Vater mit einem kleinen Kind an der Hand auf mich zu, kniet sich runter, zeigt mit dem Finger auf das Opfer und fängt an, mit dem Handy zu filmen. Das Kind war vielleicht fünf Jahre alt.” Andreas Kroll wird noch Wochen später wütend.
SPAß-SELFIES AUF DER RETTUNGSTRAGE
Marina Bosch ist Rettungsassistentin bei den Bruchsaler Maltesern. Sie erinnert sich an einen Einsatz auf einem Volksfest. Eine Person benötigte Hilfe. Sie und ihr Kollegen kommen mit der Trage an den Ort des Geschehens, stellen die Trage ab und kümmern sich um den Patienten.
„Dann hat sich einer auf meine Trage gelegt und Selfies gemacht – mit uns im Hintergrund. Zur Belustigung der anderen. Der wollte da gar nicht mehr runter.”
Es schwingt Verbitterung mit, wenn die 32-jährige Bosch das erzählt. Versteht sie Spaß? In solch einer Situation definitiv nicht. „Es geht hier oft um Leben und Tod. Jede Minute zählt. Selbst scheinbar harmlose Fälle können sich als schwere Verletzungen entpuppen.” Genau wie bei Unfällen auf der Autobahn.
„Die Menschen steigen aus und laufen nach vorne an den Unfall. Einmal hat ein Passant die Blutdruckmanschette aus meiner Tasche genommen und mir hingeworfen. Ich soll doch erst mal Blutdruck messen.”
GEHOLFEN HAT KEINER, GEFILMT SCHON
Ein anderes Mal lag eine bewusstlose Person an einer Straßenbahnhaltestelle in Karlsruhe. Geholfen hat keiner, gefilmt schon. „Dass jemand tatsächlich hilft, ist eher selten”, weiß Bosch aus Erfahrung. Die Malteserin ruft die Polizei zur Hilfe, wenn es ihr zu bunt wird. Und das wird es in den vergangenen Jahren immer öfter.
Den drei Helfern wäre ja schon geholfen, wenn sie wenigstens nicht behindert werden würden. „Noch bevor ich zurück auf der Rettungswache war, stand ein Film mit mir in den sozialen Medien”, berichtet Bosch.
"Ich kann nicht lange diskutieren. Der Fokus liegt auf dem Patienten", so Tim Synovzik, DRK-Notfallsanitäter.
Vor Ort eingreifen? Schwierig, finden alle drei. „Ich muss abwägen, was ist jetzt wichtiger? Was hat Priorität?”, erklärt die Rettungsassistentin. „Ich kann nicht lange diskutieren. Der Fokus liegt auf dem Patienten”, bestätigt Synovzik vom DRK. „Natürlich habe ich auch schon mal etwas in Richtung der Gaffer gebrüllt”, so Kroll.
„Aber das bringt nichts. Wir haben auch nicht die Zeit. Ich habe mal einen gefragt, ob ich meinen Notfallkoffer wegschieben soll, damit die Sicht auf das Opfer besser wird”, erklärt Feuerwehrmann Kroll, der einige Jahre im Rettungsdienst gearbeitet hat.
MANCHMAL MÜSSEN RETTER DIE POLIZEI UM HILFE BITTEN
„Hier werden Menschen in absoluten Ausnahmesituationen gefilmt und ihre Bilder ins Netz gestellt. Ich würde die Leute gerne fragen: Wenn Sie in solch einer Situation wären, würden Sie dann gerne gefilmt werden?”, erklärt der 38-jährige Kroll. Er beschreibt die Gaffer als „völlig distanzlos”.
Regelmäßig müssen Kroll und seine Kollegen die Polizei zu Hilfe bitten. Jugendliche zum Beispiel sind einfach nicht aus dem Weg gegangen, als Einsatzkräfte am Untergrombacher Baggersee nach einem Familienvater gesucht hatten. Der Mann konnte später nur tot aus dem See gezogen werden.
Als die Bruchsaler Feuerwehr im November in der Silberhölle einen heftigen Brand löschen musste, tauchten ebenfalls kurze Zeit später die ersten Filmchen auf der Videoplattform Youtube auf, samt kritischer Bemerkungen.
„BORDSTEINKOMMANDANTEN” HINTERFRAGEN HERANGEHENSWEISE DER RETTER
„Wir nennen die gerne Bordsteinkommandanten”, erklärt Kroll, Menschen, die ohne Kenntnis der Sache ihre Kommentare abgeben. Damals etwa wurde gefragt, warum die Feuerwehr mit mehreren Rohren in die Fenster der Wohnung hält. Hintergrund: Der bewaffnete Bewohner hatte sich in seiner Wohnung verschanzt, die Feuerwehr konnte nur über Fenster und Balkone angreifen.
Den Rettungskräften geht es in ihren Erzählungen meist nicht um ihr eigenes Bild: „Wir stehen mit unserer Arbeit ohnehin oft unter Beobachtung”, sagt Bosch. „Es geht darum, dass die Opfer den Blicken fremder Menschen ausgesetzt und in ihrer hilflosen Lage in den sozialen Medien dargestellt werden”, erklärt der 23-jährige Synovzik. Bosch, Synovzik und Kroll sind sich daher einig: „Die Gesetzesverschärfung ist der richtige Weg.”
Artikel: bnn.de / Badische Neueste Nachrichten Christina Zäpfel
Foto: Maike Dammert